Veröffentlicht am 4. September 2024

Der Kampf gegen Windmühlen hat sich gelohnt

Frau und Mann mit Absaugschlauch im Hals sitzen auf Bett
Marion und Günter Wagner sind seit 42 Jahren ein eingeschworenes Team. © Karin Novak

Das Ehepaar Wagner aus Waidhofen kämpft seit Jahren einen kräftezehrenden Behördenkampf für den an ALS erkrankten Günter. Nun ist Gattin Marion ein bedeutender Sieg nicht nur für ihren Mann, sondern für alle von Intensivpflege Betroffenen gelungen.

Aber der Reihe nach. Alles begann im Sommer 2017, als der gelernte Werkzeugmacher erste Muskelzuckungen bemerkte. Im Herbst kam eine anhaltende Heiserkeit hinzu und zu Weihnachten litt bereits seine Feinmotorik. Der alljährliche Blutcheck im Februar war zwar unauffällig, die Haus­ärztin zog aber zur Abklärung der Symptome einen Facharzt für HNO und eine Neurologin hinzu. „Und dann stand der Verdacht auf eine Vorderhornzell-Erkrankung im Raum“, erzählt Marion Wagner. „Davon hatten wir bis dahin noch nie gehört.“

Schwere Nervenerkrankung

Eine Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeit folgte und brachte die Diagnose „schwere Nervenerkrankung“. Auf beharrliches Nachfragen wurde der Arzt deutlicher und nahm erstmals die Krankheit ALS in den Mund. Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die bis zur vollständigen Muskellähmung führt. „Das war am 14. März 2018“, erinnert sich die 56-Jährige. „Wir fuhren mit dieser Diagnose gerade nach Hause, als wir im Radio hörten, dass Stephen Hawking gestorben ist. Das Universum hat manchmal schon einen seltsamen Humor.“ Nach dem ers­ten Schock schalteten beide auf Kampf­modus. Sie begannen sich akribisch einzulesen, zogen weitere Ärzte, auch Alternativmediziner, hinzu und starteten bereits Anfang April mit den ersten Therapien. Mittlerweile ist Marion Wagner derartig fachkundig, dass Ärzte ihren Kontakt an Patienten weitergeben, damit diese von ihren Erfahrungen profitieren können. „Die Lebenserwartung nach Diagnose­stellung ist eineinhalb bis zwei Jahre“, so die zweifache Mutter. „Wir sind bereits im siebten.“ Sie dreht sich zum Pflegebett ihres Mannes und lächelt ihn an. Etwas blechern hört man vom Bett: „Ich habe eine super starke Frau.“ Der 62-Jährige kann sich über den Bildschirm eines Computers, den er mit seinen Augen bedient, mitteilen. Seine Atmung übernimmt ein Beatmungsgerät, über das Tracheostoma muss bei Bedarf abgesaugt werden. Das alles bedarf einer 24-Stunden-Überwachung. „Wir haben großes Glück mit unserer Hausärztin Jonna Feyertag-Leidl und ihrer Vertretung Herbert Guschlbauer. Die kommen zu uns nach Hause und rufen sogar aus ihrem Urlaub an, wie es uns geht“, so Marion Wagner.

Pflegeheim kommt nicht in Frage

Die viel größere Herausforderung ist demnach nicht die medizinische Versorgung, sondern vielmehr die Pflegesituation. Eineinhalb Jahre war der dreifache Großvater komplett ans Bett gefesselt, bis er von der ÖGK einen Multifunktionsrollstuhl bewilligt bekommen hat. Die Pflege zu Hause ist entsprechend herausfordernd. Auf Ansuchen um Unterstützung sagte man Marion Wagner, man ginge in Niederös­terreich andere Wege, und hat ihr das Pflegeheim für Behinderte in Melk nahe gelegt. Das ist für die beiden aber absolut keine Option. „Abgesehen davon wäre diese Betreuung noch viel teurer als die Pflege zu Hause, alleine ein Monat auf einer Intensivstation käme auf zwischen 60.000 und 90.000 Euro“, so Wagner, die Vollzeit als Hausbesorgerin arbeitet. Das Ehepaar selbst hat bereits 200.000 Euro in Therapien und Pflege investiert. Vonseiten der ÖGK gab es nach Einreichung aller Rechnungen aus einem Unterstützungsfonds gerade einmal 15.000 Euro. Um Unterstützung hat Marion Wagner an Politiker geschrieben, beim Sozialministerium angesucht, den Behindertenanwalt eingeschaltet – und auch wenn sich alle fassungslos zeigten, so hieß es allerorts: „Das fällt nicht in unsere Zuständigkeit.“ „Einzig Bürgermeister Krammer hat sich immer wieder für uns eingesetzt und stark gemacht“, sind Mario und Günter Wagner dankbar. „Dem gehört ein Orden.“ Da es sich um keine herkömmliche Hauskrankenpflege, sondern eine Intensivpflege handelt, spielt das Land Niederösterreich den Ball an die ÖGK. Die bezahlt aber nur einen Hauskrankenpflegesatz von 14,10 Euro. Die Stunde einer diplomierten Pflegekraft kostet aber 60 Euro.

Gang in die Öffentlichkeit

Erst nachdem sich der „Kurier“ im Frühjahr dieses Falles annahm und in der Sonntagsbeilage österreichweit einen Bericht veröffentlichte, wurde man auch am Land auf höchster Stelle aufmerksam. Am 2. Mai erfolgte das Telefonat von der NÖ Gesundheitsabteilung mit dem Bescheid, dass der Familie Wagner Intensiv-Pflegekräfte genehmigt werden, in dem Ausmaß, wie sie sie brauchen. „Es handelt sich dabei nicht um eine Sonderregelung für meinen Mann, sondern für alle, die Intensivpflege benötigen“, freut sich Marion Wagner. Und fügt hinzu: „Wir nehmen allerdings nicht die 24-Stunden-Pflege in Anspruch, die sollen diejenigen bekommen, die sie unbedingt brauchen. In der Nacht pflege ich meinen Mann selbst. Für die Tagschicht sind wir aber noch immer auf der Suche nach Diplom-Pflegekräften. All diejenigen, die Interesse haben, sollen sich bitte bei uns melden. Ich gebe den Kontakt dann an die Intensivpflegefirma weiter.“

Welle der Spendenbereitschaft

Nebenbei löste der „Kurier“-Artikel eine Welle der Spendenbereitschaft aus. Knapp 14.000 Euro konnten bereits übergeben werden. Allerdings ist das noch nicht einmal die Hälfte des elektrischen Rollstuhls, den sich Marion für ihren Mann so sehr wünscht. Das Ansuchen darauf wurde erst kürzlich abgelehnt. „Weil er diesen auch mit den Augen steuern könnte, würde ihm dieser ein kleines Stück Selbstbestimmung zurückgeben“, so Marion Wagner. Wer dazu beitragen möchte, diesen Wunsch möglich zu machen, kann das über das Spendenkonto der Sparkasse Waidhofen (AT23 2025 6034 0112 6127). „Der Ybbstaler“ würde sich freuen, irgendwann in den kommenden Wochen titeln zu können: „Die 36.000 Euro sind geschafft!“

Kontakt:
Marion Wagner
Tel. 0681/103 27 252
E-Mail: marion.wagner@kabelplus.at

Veröffentlicht am 4. September 2024

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